Sonntag, 1. Mai 2016

Die Meerschweinchen-Seifenoper

Es gibt Zeiten im Zusammenleben mit Meerschweinchengruppen, in denen die kleinen pelzigen Mitbewohner jeden Fernseher ersetzen können. Das sind meistens Zeiten der Gruppenumordnung – oder wenn sich der Meerschweinchenhalter wieder einmal einbildet, dass der Status Quo verändert werden müsste. Man landet dann mitten in der besten Meerschweinchen-Seifenoper. Es gibt im Allgemeinen einen Bösewicht (meiner Erfahrung nach eine „Bösewichtin“), ein armes, unschuldiges Opfer, das natürlich doch nicht so unschuldig ist, wie es zunächst den Anschein hatte, und den Prinzen und männlichen Hauptdarsteller in romantischer Pose. (Wirklich schlimm wird es allerdings, wenn der Prinz beschließt, dass er sich lieber in Ruhe ein Nickerchen gönnt und sich aus den Streitereien besser heraushält.)
Kommt Ihnen bekannt vor? Dann willkommen in Daisys Welt!

Die folgende Geschichte beginnt etwa im Jahr 2005.

Daisy kam 2004 als etwa 1-Jährige zu mir. Ich hatte damals die gute Idee gehabt, meinem ungefähr 1-jährigen, noch immer einigermaßen verschreckten Meerschweinchenbuben Snoopy ein etwa gleichaltriges Weibchen zur Seite zu stellen. Sozusagen ein zweites Weib zur moralischen Unterstützung. Leider hatte ich die Rechnung ohne die beiden Damen gemacht, Bessy, etwa 4-jährige Grande Dame, und natürlich auch Daisy.
Die beiden beschlossen auf Anhieb, dass sie einander nicht leiden konnten, im Nachhinein erkenne ich die Signale, aber damals war ich blind und taub und wild auf ein neues Meerschweinchen. So zogen die Wochen und Monate dahin, Daisy teilte sich mein Meerschwein-Zimmer (offiziell heißt es Arbeitszimmer, für wie verrückt sollen mich die Leute denn noch halten, wenn ich von meiner Wohnung spreche: 3 Zimmer – Schlafzimmer, Wohnzimmer und Meerschwein-Zimmer) mit Kimi, einem echten Meerschwein-Verweigerer, Bessy lebte gemütlich mit Snoopy zusammen. 
Vergesellschaftungsversuche meinerseits wurden regelmäßig im Keim erstickt und ich hatte täglich zweimal drei Laufschichten unter einen Hut zu bekommen, denn meine Schweinebande darf morgens und abends die Wohnung unsicher machen – gruppenweise versteht sich – und fordert dieses Recht natürlich lautstark ein.

Und dann kam der traurige Tag, an dem Kimi von uns ging. Daisy, gerade in der Blüte ihrer Hormone, entdeckte Snoopy als ihren Prinzen und konnte von diesem Moment an keine Sekunde ohne ihn sein. Ich war fassungslos, war es doch das gleiche Weibchen, das noch wenige Wochen vorher ihr Rückenfell nach allen Regeln der Kunst aufgestellt hatte, wenn ihr Snoopy auch nur zu nahe kam, und deren vorrangigste Reaktion auf ihn wütendes Zähneklappern gewesen war. 
Daisy war verliebt – und wer bin ich, Liebende zu trennen. Leider hatte sich Daisys rabenschwarzes Seelchen nicht von heute auf morgen in das eines Lämmchens verwandelt. Denn sobald das Mädchen – ganz nach den Regeln jeder guten oder schlechten Seifenoper – den Prinzen für sich erobert hatte, ging es daran, das alte Weibchen zu vertreiben. 
Bessy gefiel ihre neue Rolle als betrogenes Ex-Weibchen natürlich gar nicht, aber sie hatte mit ihren noch nicht ganz fünf Jahren weder die Energie noch die Entschlossenheit, der jungen Rivalin Paroli zu bieten.

Nachdem ich mir das Trauerspiel ein paar Tage angesehen hatte, biss ich seufzend die Zähne zusammen und holte mir aus einer Notstation ein nettes, freundliches, friedliches Männchen, um meiner kleinen, verstoßenen Bessy Gesellschaft zu leisten. Und so war er wieder einmal aus, der Traum von einer Meerschweinchengruppe, die friedlich in einem Käfig zusammenlebt. Der Gewinner an der Sache war Merlin, unser Neuzugang, der – nachdem er von Bessy ordentlich eines über die Rübe bekommen hatte – doch recht schnell gelernt hat, dass man Weibchen am besten durch Gurrlaute und Wiegeschritte besänftigt. (Und lieben wir das nicht alle an unseren Böckchen?)

Doch die Geschichte geht natürlich noch weiter. Daisy und Snoopy lebten von diesen Tagen an glücklich vereint (bis zu Daisys überraschendem Tod im Jahr 2007). Und auch Bessy und Merlin führten eine harmonische Partnerschaft, bis Bessy von uns ging und ein neues Weib für Merlin her musste. 
Also pilgerten wir wieder in die Notstation und suchten uns ein neues Weibchen – bzw. wir überließen Merlin die Entscheidung, aber der erste Versuch war sofort ein Treffer und so zog Freja bei uns ein. Freja war etwa ein Jahr alt und ein Aussetzungsopfer, das in Merlin sofort ihren starken Retter in glänzender, na ja sagen wir wuscheliger Rüstung sah. 

Nur was war aus meinem oh so sanften, oh so zurückhaltenden Männchen geworden? Kaum war sich Merlin sicher, dass Freja ihm gehörte und ihm erhalten bleiben würde, ließ er den Ober-Pascha heraushängen und kommandierte Freja herum. Zugegeben er hat sie auch gut erzogen, so auf den Quieker folgt Freja mir ganz sicher nicht, wenn ich die Dame aus dem Wohnzimmer zurück ins Schweine-, ähh Arbeitszimmer befördern will. 
Aber das ging mir dann doch ein bisschen zu weit, schließlich bin ich ein großer Anhänger der Gleichberechtigung – vermutlich suche ich mir deshalb unbewusst auch immer so kleine Zicken wie Daisy aus. 
Und nachdem Merlin wieder einmal den besten Teil eines Wochenendes damit verbracht hatte, Freja zu schikanieren, schritt ich zur Tat. Nein, ich holte mir nicht noch ein Meerschweinchen ins Haus, schließlich hat meine Wohnung nicht unbegrenzt Quadratmeter zur Meerschwein-Verfügung. Aber ich beschloss, den lange gehegten Plan einer Wohnraumvergrößerung für Familie Meerschwein endlich in die Tat umzusetzen und erweiterte den Käfig auf die doppelte Grundfläche. Nach einem Wochenende des Durch-die-Tiermärkte-Pilgerns und Herumtüftelns stand sie, meine neue Meerschwein-Villa. Freja und Merlin waren begeistert, so begeistert, dass sich Freja als neue Herrin des Hauses mausterte und ihr Selbstbewusstsein fast in dem gleichen Maß anwuchs wie das Eigenheim. 
Meerschweinchen haben ja den großen Vorteil, dass eine Verdoppelung der Wohnfläche nicht auch zu einer Verdoppelung des Putzaufwandes führt – obwohl ich schon den Eindruck hatte, dass sie jetzt doppelt so viel markieren mussten wie früher ... hat eben alles auch seine Nachteile.